Walter Ballhause

      Den nachstehenden Beitrag wollte ich als dok Anhang posten, aber das muss ich noch lernen :). Darum in mehreren Teilen, also Teil 1:
      Gabriele Senft über Walter Ballhause

      Worte anläßlich der Ausstellungseröffnung „Überflüssige Menschen“ im Haus der Demokratie Berlin am 19.04.2013

      Ein Dankeschön an die Initiatoren der Ausstellung für den Standort im Haus der Demokratie Berlin. Endlich kommen seine bedeutenden Fotos hier mal wieder ans Tageslicht. Zwar sind sie im DHM-Archiv registriert, aber unkritisch neben anderen Fotografien angeordnet, sogar neben einem, der noch nach dem 2. Weltkrieg einen Hitlerkult betrieb.

      Zu meiner beruflichen Tätigkeit als Fotojournalistin von ADN-Zentralbild, Fotoagentur der DDR, gehörte die Berichterstattung von Kulturereignissen und so erhielt ich 1984 den Auftrag, die Eröffnung der Fotoausstellung vom Arbeiterfotografen Walter
      Ballhause im Otto Nagel-Haus in Berlin Mitte zu fotografieren.

      Ich hatte also das große Glück, ihm persönlich zu begegnen. Ich muss gestehen, ich hab es damals nicht in seiner ganzen Bedeutung erfasst. Natürlich hab ich den Katalog aufbewahrt und ich erlebte eine beeindruckende Persönlichkeit, einen wunderbaren Menschen, einen Fotografen, wo es lohnt, zu studieren wie man Licht und Schatten in der schwarz weiß Fotografie wirkungsvoll einsetzt, aber die Fotos blieben mir vom Inhalt her damals fremd. Sie waren wie ein Blick in eine ferne, für
      uns in der DDR überwundene Vergangenheit.

      Eine weitere Chance hab ich damals vertan. Ich hätte mich durch die Bilder auch meinen eigenen Großeltern nähern können. Die teilten mit ihrer kinderreichen Familie in Ludwigshafen wie er das Schicksal der Millionen, wie Ballhause es in seiner Reportage des Schlossers Döhler vorstellt. Meine Ludwigshafener Großmutter zog mit ihrem Mann 5 Kinder groß. Ich erhielt als zweiten ihren Namen Anna, heiße damit auch ein wenig wie Walter Ballhauses Mutter, mir eine Freude.

      Mutter erzählte manchmal, dass ihr Vater, ein Kraftfahrzeugschlosser, sich bei einem Schuster und einem Tischler Fähigkeiten aneignete, um im Haushalt aus Not alles allein bewerkstelligen zu können. Ich versteh Anne Allex, Initiatorin der
      Ausstellung, die wert darauf legt, dass man die Menschen ohne Verdienst zwar erwerbslos nennt, aber nicht arbeitslos. Die meisten schufteten damals wie sie sich auch heute mühen, irgendwie zu überleben. Ballhauses Fotos zeugen im Hannover Ende der 20iger Jahre davon.
      Teil 2 Worte zur Ausstellungseröffnung am 19.04.2013:
      Walter Ballhauses Leben

      Er kommt am 3. April 1911 in Hameln, Niedersachsen, zur Welt. Er ist das 5. Kind eines Schuhmachers und einer Lederstepperin, die wegen der Kinder zu Hause in schwerer Arbeit Stiefelschäfte absteppt, der Vater arbeitet in einer Schuhfabrik.Walter Ballhause erzählt, dass er an diese Zeit in Hameln lebhafte Erinnerungen hat während des 1. Weltkrieges. Sie wohnten in einer Straße, wo vom Bahnhof kommend, Schwerverwundete auf Tragen vorbei an ihrem Haus zum Lazarett transportiert werden.
      Die Anwohner der Straße nehmen oft Anteil, legen mal einen Apfel, mal ein Stück Brot zu den verletzten Soldaten auf die Trage. Dieses Erleben hat sich ihm eingeprägt, das belegen seine späteren Fotos der sich auf Krücken durchs Leben kämpfenden Kriegsopfer.

      1919 ist die Ehe seiner Eltern so zerrüttet, dass die Mutter mit Walter aus der Stadt flüchtet, Walter kann sich an Drohungen des Vaters erinnern. Sie versucht im über 60 Kilometer entfernten Hannover Fuß zu fassen, findet als „Scheuerfrau“ bei einer Wollfabrik ein ärmliches Auskommen. Sie ziehen 11 mal um, er muss 8 mal die Schule wechseln und verdient mit Zeitungsaustragen etwas dazu.
      Bis zum 12. Lebensjahr hat er kein eigenes Bett, im Sommer läuft er immer barfuß. Dann 1925 findet er beim Arbeiterturn- und Sportbund und den Roten Falken Geborgenheit. Sie haben sein Schwimmtalent entdeckt.

      Und es gibt Freunde, die ihn an wertvolle Literatur heranführen. Er liest Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ und müht sich sogar mit Werken von Karl Marx ab, ein Fremdwörterbuch nutzend.

      Bei der Hanomag kann er schließlich eine Laborantenlehre absolvieren, doch anschließend wird er 1928 arbeitslos. Seine Freundin Lina Lengefeld arbeitet bei der Stadtverwaltung der SPD. Für ihn ist es darum selbstverständlich, mit 18 auch SPD-Mitglied zu werden.
      In dieser Zeit beeinflusst ihn eine Broschüre entscheidend: Erich Knauf, „Künstlerprofile von Daumier bis Kollwitz“. Bildende Künstler setzen das ihm täglich begegnende Elend des wachsenden Heers der Arbeitslosen in bewegende Kunstwerke um. Er findet sich und sein Umfeld wieder bei Barlach, Zille, Masareel, Liebermann, George Grosz und Käthe Kollwitz. Das möchte er auch gestalten. Er hat Zeichentalent, aber hatte nie die Möglichkeit, es zu entfalten, nun beschließt er, statt mit Zeichenstift oder Pinsel, den Alltag mit einer Fotokamera einzufangen und bittet seine Freundin, eine Leica zu kaufen und sie ihm leihweise zu überlassen. Sie erwirbt auf seinen Wunsch hin eine moderne, handliche Fotokamera.
      So steht auch sie in einer Reihe mit anderen, denen wir verdanken, diese Blicke in unsere Vergangenheit werfen zu können, die nun leider gar nicht mehr so vergangen scheint.

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      Teil 3 Worte zur Ausstellungseröffnung am 19.04.2013:
      Mit knapp 20 Jahren gelingt Walter Ballhause in den nächsten drei Jahren ein herausragendes fotografisches Werk, das zu den besten und künstlerisch hochwertigen Leistungen der Arbeiterfotografie zählt.
      Er ist einer von ihnen, obwohl er es damals noch nicht weiß. In der Stadt Hannover und in ganz Niedersachsen sind die Arbeiterfotografen nicht organisiert. Da er seine Fotografien öffentlich machen möchte, bietet er der Stadtzeitung der SPD „Der Volkswille“ seine Fotografien an, hat auch Erfolg und auch in einer Ausstellung der Arbeiterfotogilde, ebenfalls zur SPD gehörend, kann er etwas ausstellen.

      Dadurch erhält er seinen ersten und einzigen Fotoauftrag für eine österreichische SPD Zeitschrift „Der Kuckuck“ - Einer von Millionen, er sagt, dass das auch deshalb eine besondere Arbeit ist, weil er dort das einzige mal die Leica nicht verdeckt einsetzt.

      Alle anderen Fotos entstanden von den Abgebildeten unbemerkt. Er geht am Morgen los und beobachtet die Menschen, die vor dem Arbeitsamt Schlange stehen, diskutierende Männer, spielende Kinder, Frauen, die nach dem Markttag nach Brauchbarem in den Abfällen wühlen, resignierte abgekämpfte, ausgemusterte Arbeiter, die Trost im Alkohol suchen. Aber er bannt auch die drohende Militarisierung auf Film, die sich mehrenden Anzeichen der Faschisierung. Als er am 1. April 1933 SA-Horden mit der Kamera beobachtet, als diese das Gewerkschaftshaus besetzen, rote Fahnen verbrennen und die Hakenkreuzfahne hissen, wird er von diesen bemerkt. Doch bei der anschließenden Hausdurchsuchung hat er glücklicherweise die Negative davon nicht zu Hause. Seit der Zeit wird er jedoch bespitzelt.Inzwischen ist er aus der SPD ausgetreten, hält zu den linken Abgeordneten Max Seydewitz und Kurt Rosenbluhm, die eine neue Arbeiterpartei, die SAP, gründen. Damit hat er auch keinen Zugang mehr zur Arbeiterfotogilde.

      Von 1934 bis 1941 arbeitet er als Laborant bei Hanomag, heiratet 1936 seine Frau Henni, nachdem er sich im Guten von Lina Lengefeld trennte, bildet sich weiter zum Chemotechniker und zieht 1941 nach Straßberg bei Plauen um, wo er ein Angebot bei der Vomag annimmt. Er hofft auch, dadurch aus dem Sichtfeld von Gestapospitzeln zu kommen. Da er jedoch ablehnt, in seinem Haus in Straßberg Blockwart zu werden, ist er sofort wieder im Visier der Gestapo und wird 1944verhaftet, man nimmt Kontakte zu antifaschistischen Zellen an.

      Die Negative hat seine Frau im Keller an die Rückwand der Kartoffelkiste genagelt und so gerettet. Zu einer Verurteilung Ballhauses kommt es nicht, da durch die Bombardierung Dresdens seine Akte vernichtet wird. Er muß 8 Monate in Gefängnissen von Plauen und Zwickau verbringen und wird am 17. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit.
      Teil 4 Worte zur Ausstellungseröffnung am 19.04.2013:
      Ein Abstecher zur Geschichte Plauens


      Plauen ist vor allem bekannt durch die „Plauener Spitze“. Zu diesem Ruhm konnte Plauen aber nur durch die Entwicklung von speziellen Stickmaschinen gelangen, die in der Vomag (Voigtländische Maschinenbau AG) entwickelt wurden.
      Die in Paris berühmt gewordene „Plauener Spitze“ bewirkte eine Einwohnerexplosion für die Stadt, sie entwickelte sich in wenigen Jahren zur Großstadt, doch im 1. Weltkrieg war die Arbeitslosenquote bereits so hoch, dass viele wegzogen.
      Im 2. Weltkrieg wurde Plauen zu 80% zerstört und gehört neben Dresden zu den am schlimmsten betroffenen deutschen Städten. Der Maschinenpark der Vomag wurde dann zunächst von den amerikanischen Besatzern weiter dezimiert und außerdem warben diese Experten in die westlichen Besatzungszonen ab. Als die sowjetischen Truppen in Plauen eintrafen, wurden auch Reparationsleistungen gefordert. Mit den Resten wurde dann 1946 die Plamag (Plauener Maschinenbau AG) gegründet.
      Vor allem Druckmaschinen gehörten zum Bestand des Werkes. Bald mussten Ersatzteile angefertigt werden.

      Walter Ballhause qualifiziert sich zum Gießereiexperten, baut ein Werk auf und leitet es. Zuvor hat er nach dem Krieg eine andere verantwortungsvolle Aufgabe übertragen bekommen. Als Antifaschist war er zum Bürgermeister ernannt worden und verantwortlich für die Einwohner von Straßberg und für viele Zugezogene und Umsiedler. In der Zeit entstanden einige Fotoserien von Umsiedlern. Als Gießereiexperte sieht er in den kommenden Jahren seine Aufgabe darin, Erkenntnisse in der Graugießerei auch anderen DDR Betrieben weiter zu vermitteln. Dazu nutzt er seine Fotokenntnisse, setzt Fotos von Gußnähten für Diavorträge ein.
      Oft fotografiert er auch Kollegen, zum Beispiel erhalten diese bei einer Auszeichnung neben einer Urkunde ein Porträtfoto, davon gibt es eine Zusammenstellung „Menschen an meiner Seite“.
      Aber sein Lebensschwerpunkt ist der Aufbau einer menschlichen Gesellschaft in der DDR.

      Als Verfolgter des Naziregimes kann Walter Ballhause mit 60 Jahren in Rente gehen. Und genau zu dieser Zeit 1971 erinnert man sich in Hannover bei der VVN BdA an seine Fototätigkeit und bittet ihn, für die Ausstellung „Widerstand in Niedersachsen“ einige davon zur Verfügung zu stellen. Er nimmt sich die Zeit, seine Negative zu sichten und entdeckt sie neu. 100 Aufnahmen schickt er nach Hannover. Die Wirkung ist überwältigend. Bald haben über 70 000 seine Fotos gesehen.Von dieser Zeit an gibt es Ausstellungen in beiden deutschen Staaten und später auch international. 1981 erscheint das Foto- Gedichtbuch „Überflüssige Menschen“ im reclam Verlag Leipzig, Fotos von Walter Ballhause und Gedichte von Johannes R. Becher aus dieser damaligen Zeit.


      Teil 5 Worte zur Ausstellungseröffnung am 19.04.2013:

      Noch ein Wort zu seiner politischen Einstellung.

      Mit seinem Engagement bei der Gründung der SAP hoffte er wie die anderen, zwischen den gespaltenen Kräften innerhalb der Arbeiterklasse zu vermitteln, was sich bald als hoffnungslos herausstellte.Nach 1945 gründete er in Straßberg eine KPD-Gruppe und so war er bei der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien zur SED aktiv beteiligt. Auf meinen Fotos von der Ausstellungseröffnung 1984 im Otto Nagel-Haussehen wir ihn mit zwei Abzeichen, dem Abzeichen der Antifaschisten und dem Parteiabzeichen der SED. Ich könnte mit einem Klick des Fotobearbeitungsprogramms das Parteiabzeichen „verschwinden lassen“, ihn so aus der Schusslinie derer nehmen, die gegen diese Arbeiter- und Bauernpartei des „Unrechtsstaates“ geifern und alle, die sich engagierten, verunglimpfen. Erstens würde ich damit ebenfalls Geschichtsklitterei betreiben, wie diejenigen, die auf seinem berühmten Foto mit der Menschenschlange der Arbeit Suchenden am Arbeitsamt die Wahllosung „Wählt Hitler“ und das Hakenkreuz wegretuschieren. Zweitens ist Walter Ballhause einer der besten, wahrhaftesten Vertreter dieser Partei, er wollte fotografierendVeränderung, Abschaffung der Ausbeutergesellschaft und in dieser Verantwortung sah er sich als Vertreter seiner Klasse in der DDR.September 2012 lernte ich Walter Ballhauses Sohn Rolf kennen, als er zur Fotoausstellung „Der unsichtbare Fotograf“ seines Vaters und zum Vortrag von Prof. Jörg Boström über Ballhause während der Photokina nach Köln kam. Wenn ich ihn wiedersehen werde, möchte ich noch einiges über seinen Vater erfahren, auch, wie der darüber dachte, als er erleben mußte, dass die politischen Verhältnisse dafür sorgen, dass auch für uns in unserem untergegangenen Land
      seine Fotos von mahnender Aktualität sind. Walter Ballhause ist 1991 in Plauen gestorben. Gabriele Senft